Wir haben erneut mit unserem Bauexperten, dem Dipl. Baumeister Hans Peter Zysset gesprochen. Dieses Mal ging es um die Frage, wann und wie man Einspruch gegen eine Baubewilligung einlegen kann:
Herr Zysset: «Mit einer Einsprache können tatsächliche und rechtliche Mängel am Bau angefochten werden. Das kann eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie mögliche Verfahrensfehler sein. Neue Rechtsbegehren sowie neue tatsächliche Behauptungen und Beweismittel sind zulässig.»
Herr Zysset: «Eine Einsprache ist immer schriftlich einzureichen und muss eigenhändig durch den Einsprecher oder seine Vertretung unterzeichnet sein. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts ist eine Einsprache nicht gültig, wenn keine originale Unterschrift auf dem Einspracheschreiben ist.»
Herr Zysset: «Auf eine Baueinsprache kann dann nicht eingegangen werden, wenn sie rechtsmissbräuchlich ist. Das bedeutet: Geht es bei einer Baueinsprache nicht darum, die Verletzung der eigenen Rechte durch ein Bauvorhaben zu verhindern, sondern werden sonstige, artfremde Ziele verfolgt, findet die Einsprache keine Berücksichtigung. Rechtsmissbräuchlich, und damit nicht zu berücksichtigen, sind Baueinsprachen dann, wenn sie lediglich der Bauverzögerung dienen, offensichtlich aussichtslos sind oder etwa dazu dienen, einem unliebsamen Nachbarn das Leben schwer zu machen.»
Herr Zysset: «Zur Baueinsprache gegen ein aufgelegtes Baugesuch ist nicht jedermann berechtigt, sondern nur, wer vom geplanten Bauwerk besonders betroffen ist. Betroffen ist jemand, der über eine spezifische Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt, und einen praktischen Vorteil aus der Nichtbewilligung des Baugesuches ziehen könnte. Die Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein. Ein schutzwürdiges Interesse liegt dann vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Einsprechers durch das geplante Bauvorhaben Schaden nehmen kann.»
Herr Zysset: «Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Nachbarn zur Beschwerdeführung gegen ein Bauvorhaben legitimiert. Dies gilt, wenn sie mit Sicherheit oder zumindest grosser Wahrscheinlichkeit durch Immissionen (Lärm, Staub, Erschütterungen, Licht oder andere Einwirkungen) betroffen sind, die das künftige Gebäude oder der Betrieb der fraglichen Anlage hervorruft. Als unmittelbarer Nachbar sind Sie also berechtigt, sich gegen das Bauprojekt zu wehren, und dazu gewährt Ihnen das Planungs- und Baugesetz die Möglichkeit einer Einsprache.»
Herr Zysset: «Die Pläne Ihres Nachbarn liegen während einer gewissen Zeit (je nach Kanton zwanzig oder dreissig Tage) öffentlich zur Einsicht bei der Gemeinde (zumeist Bauamt) auf. Sie besitzen einen Anspruch, das Baugesuch und die Gesuchsunterlagen einsehen zu können. Wenn Sie sich gegen das Bauprojekt wehren wollen, müssen Sie innerhalb dieser Auflagefrist Einsprache erheben.»
Herr Zysset: «Die Einsprache muss einen Antrag (zum Beispel das Baugesuch sei abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen) sowie eine Begründung enthalten. Wichtig ist, dass es genügt, wenn Sie innert der Auflagefrist schriftlich Einsprache erheben und gleichzeitig um eine Nachfrist von 14 Tagen für die Einreichung von konkreten Rechtsbegehren sowie einer Begründung ersuchen. Wenn Sie sich gegen das Projekt Ihres Nachbarn wehren wollen, müssen Sie während der öffentlichen Auflage der Pläne Einsprache erheben, da es anschliessend zu spät ist.»
Herr Zysset: «Mit einer Einsprache können Sie Verletzungen der öffentlich-rechtlichen wie auch privatrechtlichen Normen geltend machen. Die Einsprache öffentlich-rechtlicher Art richtet sich gegen eine Verletzung gesetzlicher Bestimmungen. Eigentlich gegen etwas, das die Baubehörden ohnehin schon von sich aus prüfen. Einsprachegründe sind allenfalls mögliche Verletzungen der öffentlich-rechtlichen Baunormen. Dies können zum Beispiel die Vorschriften über die Zonenkonformität (ist ein Mehrfamilienhaus überhaupt zulässig), die Anzahl der Geschosse (wie viele Stockwerke sind zulässig), die Ausnützungsziffer (solange sie noch existiert), die Gebäudelängen, die Grenzabstände et cetera sein. Seltener auch, dass die grundbuchrechtlichen Festlegungen (Näherbaurecht, Unterbaurecht und so weiter) nicht restlos geklärt sind. Da lohnt sich manchmal ein Gang aufs Grundbuchamt.
Eine privatrechtliche Einsprache im Sinne des Baurechts ist dann möglich, wenn Sie durch den geplanten Bau einen Verstoss gegen privatrechtliche Vorgaben befürchten. Ein solcher Verstoss liegt etwa dann vor, wenn bei Umsetzung des Bauprojektes beispielsweise Wegerechte verletzt werden würden. Ausserdem kann die privatrechtliche Einsprache im Sinne des Baurechts auch dann angebracht sein, wenn Sie durch den geplanten Bau übermässige Einwirkungen auf Ihr Grundstück verhindern möchten. Die hierfür geltende Rechtsgrundlage findet sich im Art. 684 ZGB.
Privatrechtlich könnten Sie zum Beispiel aus dem Nachbarrecht übermässige Immissionen (zum Beispiel infolge Lärms, Entzugs des Sonnenlichtes oder von Aussicht) geltend machen. Diese Verletzungen des privatrechtlichen Nachbarrechts werden im öffentlich-rechtlichen Verfahren entscheiden. Zudem können Sie in der Einsprache auch übrige Verletzungen des Privatrechts rügen. Hierzu zählen etwa Verletzung von Abmachungen mit Ihrem Nachbarn, Verletzungen von Grunddienstbarkeiten et cetera. Diese sogenannten übrigen privatrechtlichen Gründe würden aber nicht im öffentlich-rechtlichen Verfahren beurteilt, sondern die Gemeinde setzt Ihnen im Einspracheentscheid eine Frist von 30 Tagen für die Einleitung eines Zivilverfahrens an.»
Herr Zysset: «Argumente wie Wegfallen der Aussicht oder Schattenwurf haben als Grund für eine Einsprache keine Aussicht auf Erfolg, wenn die Vorgaben bezüglich Geschossigkeit, Grenzabstände und Gebäudehöhe eingehalten sind. Schattenwurf kann lediglich bei Hochhäusern ein Streitpunkt sein. Es kommt auch selten vor, dass die Baubehörde, die das Gesuch prüft, einen derart grundlegenden Fehler macht, dass eine Baubewilligung durch Rechtsmitteleinsatz als Ganzes aufgehoben wird. Also bleiben für Einsprachen häufig nur Verstösse gegen untergeordnete Detailfragen oder dann ästhetische Aspekte, die viel Ermessensspielraum lassen.»
Herr Zysset: «Dienen Einsprachen lediglich der Erlangung von Geldleistungen oder anderer Vorteile, ist ein entsprechend entstandener Vertrag sittenwidrig. Der Fachmann spricht dann von einer «verpönten Kommerzialisierung einer Rechtsposition», in der Umgangssprache nennt man das, Erpressung. Der Bauherr kann, nachdem er die Zahlung geleistet hat, das Bauprojekt vollendet ist und er nach seiner Ansicht erpresst worden ist, die Person, die den Rekurs ergriffen hatte, verklagen. Falls die geforderte Entschädigung offensichtlich übersetzt ist und durch Drohung der Rechtsmittelergreifung mit Zufügung von Verzögerungsschaden erzwungen werden soll, kann auf strafrechtlich relevante, unter Strafe gestellte Nötigung oder gar Erpressung, geschlossen werden.»
Herr Zysset: «Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen die Baubehörden den unterlegenen Baueinsprechenden die durch die Einsprachebehandlung verursachten Kosten nur dann auferlegen, wenn die Einsprache in offensichtlich missbräuchlicher Absicht eingereicht worden ist. Bei nicht offensichtlich missbräuchlichen Einsprachen gehen die Kosten des Einspracheverfahrens gemäss dieser Rechtsprechung und den kantonalen und kommunalen Bestimmungen in Anwendung des Verursacherprinzips grundsätzlich zulasten des Baugesuchstellers.»
Herr Zysset: «In einem ersten Schritt als Bauherr leider nur wenig. Über eine tatsächliche Missbräuchlichkeit entscheiden oft erst die Gerichte. Es ist zwar nicht verboten, sich den Rückzug einer Einsprache entschädigen zu lassen. Es kann Ziel des Einsprechers sein, sich die durch das nachbarliche Neubau-Projekt entstehenden Nachteile angemessen ausgleichen zu lassen. Es ist natürlich durchaus möglich, dass die eigene Immobilie durch einen Neubau in der Nachbarschaft an Wert verliert.»
In einem weiteren Interview mit unserem Baufachmann Herr Zysset geht es um das Thema Baubewilligungen im Allgemeinen, wann man sie benötigt und was es zu beachten gilt.
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